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bꜣꜣ.w=j: Das Suffixpronomen ist contra Olette-Pelletier, in: NeHeT 4, 2016, 60 nicht rot geschrieben.
Die erste Aussage des Spruches 9 von pTurin CGT 54003 ist kryptisch. Roccati, Papiro Ieratico N. 54003, 33 übersetzt: „I miei occhî, non son dati i miei occhî; le mie pupille, non son date le mie pupille – alla cattura di Shu, all’abbraccio delle tenebre”. Olette-Pelletier, in: NeHeT 4, 2016, 60 übersetzt: „Mes yeux, je n’ai pas donné mes yeux. MES globes oculaires, je n’ai pas donné (mes) globes oculaires ni pour contrer la lumière-Shou, ni pour étreindre les ténèbres“ (das groß geschriebene „MES“ markiert die vermeintliche Rubrizierung). Gräßler, Konzepte des Auges, 55 hat: „Meine beiden Augen, meine beiden Augen wurden nicht gegeben. Meine bꜣꜣ, meine bꜣꜣ wurden nicht gegeben für das Packen des Schu, für die Umarmung der Finsternis“.
NB: Die Lösung von Ogdon, in: GM 155, 1996, 69 (n ꜣmm(=j) (j)n Šw: „I (= the magician) am not grasped by Shu“) ist nicht möglich, weil n hier die Präposition ist und nicht die Negativpartikel.
Roccati, a.a.O., 34, Anm. a verweist für diesen Satz u.a. auf CT II, 45b-c, wo steht: n rḏi̯=j jr.t.j=j n bꜣ.wj n jꜥr.t.j=j ṯwt jr.t.j=j n ḫfꜥ Šw n ꜣmm kk.w. Faulkner (FECT I, 87-88) übersetzt: „(...) I have not given my eyes to my souls or to my uraei. My eyes are for the grasp of Shu and for the grip of darkness”. Er vermutet in ṯwt eine Bezeichnung für das Auge und schreibt (88, Anm. 4): „Ṯwt with det[erminative] [Gardiner Sign-list D4] here (...) is not recorded [scil.: in the dictionary, L.P.], but no translation other than ‚eye‘ seems possible. This spell is most obscure, and its real meaning escapes me“. Während Faulkner sich wohl von den Versionen B2L und B1P leiten lässt, in denen tatsächlich auf ṯwt zwei Augen folgen (daher sein englischer Plural < ägyptischer Dual), bezieht sich Roccati a.a.O. eher auf B1C, wo deutlich ṯwt jr.t.j geschrieben ist, und übersetzt „non do i miei occhî alle mie due anime, i miei urei; a te sono i miei occhî, per gli afferratori di Shu e per gli impugnatori delle tenebre“. Er hat ṯwt also als das Possessivpronomen „a te“ aufgefasst. Dieses ist jedoch neuägyptisch, wohingegen das altägyptische ṯwt laut Schenkel, Einführung 2012, 114 im Mittelägyptischen nicht in Possessivkonstruktionen vorkommt. Borghouts, pLeiden I 348, 46, Anm. 27 interpretiert das fragliche Wort als frühen Beleg für twt: „Pupille“, Wb 5, 256.13-14 (Spezialübersetzung von „Abbild“). Dem schließt sich Gräßler, Konzepte des Auges, 86-87 an und übersetzt den zweiten Satz des CT-Belegs mit: „Das Abbild (?) meiner Augen ist für das Ergreifen des Schu (und) das Packen der Finsternis.“ Im Grundtenor denkt sie aber wie Faulkner: „Auch inhaltlich ist der Spruch nicht gut zu erschließen.“
Neben diesem Sargtextspruch verweist Roccati, a.a.O. noch auf CT II, 112e-g und CT VI, 95m, wo der Verstorbene sagt, dass Schu ihn nicht „gepackt“ (ḫfꜥ) hat.
Die Sargtext-Passagen und Spruch 9 von pTurin CGT 54003 stehen aber weder in einem Vorlage-Kopie-Verhältnis zueinander, noch sind es Parallelen; das Verhältnis ist vielleicht eher als Inspirationsquelle zu werten, wie Olette-Pelletier, a.a.O., 63, Anm. 28 schreibt. Die Interpretation des Spruchbeginns wird jedenfalls durch zwei Faktoren beeinflusst: (1) die Syntax der Verbform und (2) die Art des adverbiellen Anschlusses.
(1) n rḏi̯: Roccati, Papiro Ieratico N. 54003, 33 übersetzt präsentisch bzw. perfektiv („non son dati“). Ähnlich Gräßler, a.a.O. 55: („wurden nicht gegeben“); beide vermuten wohl ein prädikatives präteritales sḏm(.w)=f. Olette-Pelletier, a.a.O. denkt dagegen an eine aktive Verbalform: „je n’ai pas donné“. Aktive Formen dieses Verbs werden in diesem Papyrus aber sonst nur ḏi̯ geschrieben, s. auch Roccati, a.a.O., 21.
(2) n ꜣmm ... n ḥpt: Roccati übersetzt die beiden Begriffe substantivisch (wobei er die beiden Wörter im Index auf S. 56 und 60 als Verben aufnimmt) und interpretiert die Präposition n lokal/direktiv. Auch Gräßler übersetzt die Begriffe substantivisch bzw. im ersten Fall mangels eines deutschen Substantivs mithilfe eines substantivierten Infinitivs. Die Präposition n übersetzt sie mit „für“ (ebenso im Falle des Sargtextspruches, s. oben). Olette-Pelletier übersetzt die Begriffe infinitivisch und versteht die Präposition final. Von diesen drei Lösungen ist diejenige von Roccati die semantisch und syntaktisch plausibelste, denn Gräßlers Lösung bleibt inhaltlich unklar, und für Olette-Pelletiers Lösung wäre vielleicht eher die Präposition r als n zu erwarten.
Satzsyntaktisch scheint Roccati beide Präpositionalverbindungen gleichzeitig auf die beiden negierten Satzkerne zu beziehen, auch wenn er sie durch einen Gedankenstrich davon trennt. Olette-Pelletier und Gräßler suggerieren durch ihre Satzzeichen dagegen, dass sie die Präpositionalverbindungen nur an den zweiten Satzkern anschließen. Streng genommen lässt die ägyptische Wortgliedstellung auch nur das Letztere zu. Da aber weiter vorn im Papyrus Textfehler vorliegen, die auf falsch übernommene gespaltene Kolumnen zurückgehen könnten, wäre zu überlegen, ob nicht auch hier in der Vorlage eine gespaltene Kolumne gestanden hat, in der beide negierten Satzkerne nebeneinanderstanden und dann von den Präpositionalverbindungen gefolgt wurden, die sich dort auf beide Satzkerne bezogen.
Die beiden Faktoren (1) und (2) zusammengenommen, stellt sich die Frage nach dem Sinn des gesamten Satzes. Wäre er affirmativ – „meine Augen wurden gegeben“ –, wäre er als Hinführung zum Thema des Spruches (so auch die Funktion dieses Satzes nach Olette-Pelletier, a.a.O., 63) sinnvoll: Dann wären darin Sehprobleme angesprochen, die im Folgenden behoben werden sollen. Da die Aussage aber negiert ist, fragt sich, ob bei n rḏi̯ nicht eher das prädikative passive Futur sḏmm=f/jri̯=f von Schenkel, Einführung 2012, 226-228 vorliegt. In dem Fall würde der Spruch direkt mit dem Wunsch beginnen, dass der Patient eben gerade keine Sehprobleme haben möchte – je nachdem, ob dieses Futur eine subjunktivische Nuance haben kann oder nicht, als reinen Wunsch oder quasi schon als feste (Selbst-)Versicherung formuliert.
Da Schu der Gott der lichtdurchfluteten Luft ist, wäre es unter der Prämisse einer futurischen Interpretation verführerisch, zu übersetzen mit „meine Augen ... werden nicht aus dem Griff des (Lichtgottes) Schu in die Umarmung der Finsternis versetzt“. Allerdings fragt sich, ob eine solche Konstruktion rḏi̯ NN n A n B: „NN von A nach B versetzen“ grammatisch überhaupt zulässig wäre. Zudem scheint der schon von Roccati genannte Sargtextspruch trotz der vielen Verständnisschwierigkeiten zu zeigen, dass der Zugriff des Schu und der Griff der Dunkelheit durchaus parallel gesetzt werden können.
knḥ.w: Zur Klassifizierung mit nachgetragener Himmelshieroglyphe statt, wie Roccati transliteriert, Tierfell, vgl. den Kommentar zu rs in Kolumne Rto. 23.
n [_]w | hrw: Vom Wortstamm sind nur noch der Rest eines senkrechten und der eines waagerechten Zeichens erhalten sowie unter der waagerechten Linie noch ein winziger Zeichenrest an der Abbruchkante. Darunter folgt eine Gruppe aus einem Wachtelküken und davor Zeichenreste, die Roccati, Papiro Ieratico N. 54003, Falttafel unsicher zu einem sitzenden Mann ergänzt; die Position vor dem Wachtelküken spricht tatsächlich dagegen, auch wenn die erhaltenen Zeichenreste gut dazu passen würden. Unter dem Wachtelküken sind Pluralstriche erhalten. Die nächste Kolumne beginnt mit einer Sonnenscheibe neben Logogrammstrich, was alle Bearbeiter dieses Spruches als logographische Schreibung von hrw: „Tag“ interpretieren.
Eine Ergänzung des zerstörten Wortes ist nicht möglich. Roccati, a.a.O., 34, Anm. c geht zumindest von einem Verb aus (vermutlich, weil die Konstruktion parallel zu n ꜣmm ... n ḥpt ... steht) und hält eine Bedeutung „sottrarre o simili“ für „plausibile“. Die gesamte Phrase inklusive des folgenden m-ꜥ nṯr Dwꜣ.y übersetzt er auf S. 33 mit „a colore che sottraggnono (?) il giorno al Dio mattutino“. Wo die „colore“ steht, ist unklar. Olette-Pelletier, a.a.O., 60-61 unterlässt einen Ergänzungsvorschlag und übersetzt den Beginn von Kolumne 10 mit: „le jour présidé par l’Étoile du matin“. Gräßler, a.a.O., 55 schließt sich Roccatis Deutung als Verb im Allgemeinen an, unterlässt aber ebenfalls einen Ergänzungsvorschlag. Wie Roccati sieht sie diese Wortgruppe parallel zu den vorigen Präpositionalgruppen, erkennbar daran, dass sie das n mit „(und) für“ übersetzt. Den Beginn von Kolumne 10 übersetzt sie mit: „(am) Tag aus der Hand des Gottes Duau.“ -
Literatur zu Spruch 9:
- http://papyri.museoegizio.it/!570 [*P]
- A. Roccati, Papiro Ieratico N. 54003. Estratti magici e rituali del Primo Medio Regno, Catalogo del Museo Egizio di Torino. Seria Prima- Monumenti e Testi 2 (Torino 1970), 33-34 und Falttafel [P,*T,*U,*Ü,*K]
- N. Gräßler, Konzepte des Auges im alten Ägypten, SAKB 20 (Hamburg 2017), 55 [U,Ü]
- J.-G. Olette-Pelletier, Note sur l’emploi d’une rubrique cryptographique dans un papyrus du Moyen Empire, in: NeHeT 4, 2016, 59-64 [P,T,U,Ü,K]
Persistente ID:
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Bitte zitieren als:
(Vollzitation)Lutz Popko, unter Mitarbeit von Kay Christine Klinger, Altägyptisches Wörterbuch, Daniel A. Werning, Token ID ICAAcdnWfWc5G0snvMILL6kdZkA <https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/sentence/token/ICAAcdnWfWc5G0snvMILL6kdZkA>, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae, Korpus-Ausgabe 19, Web-App-Version 2.2.0, 5.11.2024, hrsg. von Tonio Sebastian Richter & Daniel A. Werning im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Hans-Werner Fischer-Elfert & Peter Dils im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (Zugriff am: xx.xx.20xx)(Kurzzitation)
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