gs-tp(Lemma ID 858550)

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Persistent ID: 858550
Persistent URL: https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/lemma/858550


Lemma list: Hieroglyphic/hieratic

Word class: common noun (masc.)


Translation

de Migräne
en migraine

Attestation in the TLA text corpus


Attestation time frame in the TLA text corpus: from 1515 BCE to 1198 BCE


Bibliography

  • Lesko, Dictionary IV, 65


External references

Legacy TLA 858550

Comments

gs-tp: Die zuerst bekannt gewordenen Belege finden sich im Leidener magischen Papyrus I 348 (Rto 1.5, 3.5, 3.8, 3.9, 9.9 und 10.6). Schon Goodwin (in: ZÄS 11, 1873, 14) hat erkannt, dass die Bedeutung des Krankheitsnamens „Hälfte des Kopfes“ passt zu („answers to“) der Bedeutung des griechischen ἡμικράνιον „half-head“ und dessen Weiterentwicklung ἡμικρανία „Krankheit in der Hälfte des Schädels“, welches der etymologische Ursprung von unserer Krankheitsbezeichnung Migräne ist. Goodwin selbst übersetzt die Krankheit als „the half-head“, gibt aber keine Transkription. Es wurde zu dieser Zeit sicherlich noch als m-tp gelesen (vgl. Stern, in: Ebers, Papyros Ebers, II, 20). Wegen der logographischen Schreibung des zweiten Wortes käme auch gs-ḏꜣḏꜣ in Betracht (so Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 32, Anm. 8, 47; Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts, 59; Meeks, AL 78.4479). Der nächste Beleg findet sich im Papyrus Ebers, Kol. 47.14: k.t n.t mr m gs tp: „Ein anderes/weiteres (Rezept) für Schmerzen in der Hälfte des Kopfes“. Das Lemma gs-tp fehlt im Wörterbuch von Erman & Grapow, weil es vermutlich nicht als Krankheit, sondern als Hälfte des Körperteils Kopf eingestuft wurde (siehe Wb 5, 192.3 = DZA 30.690.060-30.690.070). Auch der Grundriss der Medizin, VII/2, 927-929 listet es nur s.v. gs und nicht als eigenes Lemma auf (928 mit Anm. 2). Er verweist jedoch auf Papyrus Chester Beatty V, Vso 4.1, weil dort der Text mḏꜣ.t n.t šni̯.t gs-tp: „Buch/Amulettrolle zur Beschwörung der Hälfte-des-Kopfes/Kopfhälfte“ lautet, wobei in diesem Fall „Hälfte-des-Kopfes“ als Krankheit aufgefasst wird. Diese Stelle wird vom Grundriss als „halber Kopf = ἡμικρανία = Migräne“ verstanden (VII/2, 928, Anm. 2). Gardiner, Chester Beatty Gift, I, 50 verweist zwar auf Goodwin für die Behauptung, dass gs-tp „half-head“ der Ursprung von ἡμικρανία und Migräne sei, er übersetzt gs-tp im Papyrus Chester Beatty V, Vso 4.1 jedoch mit „headache“. Lesko, Dict. IV, 65 nimmt gs-tp als Lemma in seinem Wörterbuch auf und übernimmt die Übersetzung „headache“. In jüngeren Übersetzungen wird gs-tp des Öfteren als „Migräne“ übersetzt (z.B. Eschweiler, Bildzauber, 47; Hannig, Handwörterbuch. Marburger Edition, 977 {36117}, mit der Frage, ob statt gs-tp eventuell gs-ḏꜣḏꜣ zu lesen sei), oder der ganze Ausdruck mr m gs tp wird als „les maux qui sont dans un côté de la tête (= migraine)“ verstanden (Lalanne & Métra, Nouvelle transcription du papyrus médical Ebers, Bruxelles 2017, 99; so schon bei Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 47), oder gs-tp, gs-mꜣꜥ und hq werden als drei Formen von Migräne angesehen (Westendorf, Handbuch Medizin, 69 und 141; Nunn, Medicine, 37 und 93). Auf der Statue des Djedhor (Jelínková-Reymond, Les inscriptions de la statue guérisseuse de Djed-ḥer-le-sauveur, 39: Z. 82) ist gs-ḏꜣḏꜣ der Name eines Dämons. Leider steht bei den phonetischen Zeichen von ḏꜣḏꜣ kein Determinativ, so dass unklar ist, ob hier das Wort für „Kopf“ (so Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts, 59, Nr. 88) oder ein anderes Wort, z.B. „Feind“ (so Jelínková-Reymond, 43, Anm. 1), vorliegt. Es könnte sein, dass auch gs-tp (logographisch!) auf der Statue erwähnt wird (Z. 69: ḏr.t ⸮m? tp oder ḏr.t 〈r〉 gs-tp). Borghouts (The magical Texts of Papyrus Leiden I 348, Leiden 1971, 9 § 8) ist sich nicht sicher, ob gs-tp etwas anderes als ein bestimmter Teil des Kopfes ist, weil er keinen eindeutigen Nachweis für gs-tp als Krankheitsbezeichnung kennt, obwohl er die Übereinstimmung oder Ähnlichkeit mit dem Wort Migräne anerkennt und die Parallelbildung gs-mꜣꜥ als Krankheitsbezeichnung nachweist. Später erkennt er gs-tp doch als Krankheitsbezeichnung an (Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts, Leiden 1978, 59 „side-of-the-head“; 104, Anm. 114: „not only a term denoting the location of the headache but also its specific nature (‚migraine‘).).
Pommerening (Von Impotenz und Migräne, 2010, 164-171) stellt die Übersetzung von gs-tp als „Migräne“ aus drei Gründen in Frage: (1) Das griechische Wort ἡμικρανία ist keine direkte Lehnübersetzung aus dem Ägyptischen. (2) Die griechische Krankheit ἡμικρανία ist nicht mit dem heutigen Krankheitsbild Migräne identisch. (3) Es ist nicht klar, ob die ägyptische Krankheitsbezeichnung gs-tp aus dem Neuen Reich dasselbe ist wie das griechische Krankheitsbild ἡμικρανία aus der Zeit von Galen. Für Pommerening ist gs tp auch im pChester Beatty V auf Grund der Determinierung eine Ortsangabe bzw. Lokalisierung „Kopfhälfte“ und keine Krankheitsbezeichnung an sich. (Man kann natürlich einen Bedeutungsübergang von der kranken Körperstelle zum Krankheitsnamen ansetzen, wie es für gs-mꜣꜥ der Fall ist.) Sie meint, dass gs-tp ins Griechische als ἡμικράνιον und mr m gs-tp als πόνος ἡμικρανίου lehnübersetzt wurde (S. 171: „mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ins alexandrinische Griechisch“), während ἡμικρανία eine innergriechische Weiterentwicklung ist (Nunn, Medicine, 93 erkennt den Zusammenhang zwischen gs-tp und ἡμικρανία an, hält es aber für möglich, dass die Bezeichnungen in beiden Kulturen unabhängig von einander entstanden sein könnten). Sprachlich gibt es zwar eine Kontinuität, aber das griechische Krankheitsbild war zweifellos ein anderes als das heutige, klar umrissene neurologische Krankheitsbild Migräne, das von anderen Krankheiten mit halbseitigem Kopfschmerz als Symptom zu unterscheiden sei. Und das griechische Verständnis über die Ursachen des Leidens (Temperamentenlehre) war ein anderes als das der Ägypter (von Dämonen verursacht). Laut Pommerening ist daher die Übersetzung „Migräne“ abzulehnen und ist in pEbers „Leiden in der Hälfte des Kopfes“ und in pChester Beatty V „Beschwörung der Kopfhälfte“ zu übersetzen. Das Leiden, das sich dahinter verbirgt, könnte mögliche Symptome von Migräne bezeichnen, aber nicht das Krankheitsbild Migräne selbst (Pommerening, Von Impotenz und Migräne, 2010, 170).

- Tanja Pommerening, “Von Impotenz und Migräne—eine kritische Auseinandersetzung mit Übersetzungen des Papyrus Ebers,” in Writings of Early Scholars in the Ancient Near East, Egypt, and Greece: Translating Ancient Scientific Texts, Beiträge zur Altertumskunde 286, ed. Annette Imhausen and Tanja Pommerening (Berlin: De Gruyter, 2010), 153–74 (hier vor allem 164–71).
- L. Popko, Some Notes on Papyrus Ebers, Ancient Egyptian Treatments of Migraine, and a Crocodile on the Patient's Head, in: Bulletin of the History of Medicine 92/2, 2018, 352-367 (hier: 356-358).

P. Dils (Artikel verfasst im Jan. 2020)

Commentary author: Strukturen und Transformationen; Data file created: 02/05/2020, latest revision: 02/05/2020


Editor(s): Altägyptisches Wörterbuch; with contributions by: Andrea Sinclair, Simon D. Schweitzer
Data file created: before June 2015 (1992–2015), latest revision: 08/04/2022
Editorial state: Verified

Please cite as:

(Full citation)
"gs-tp" (Lemma ID 858550) <https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/lemma/858550>, edited by Altägyptisches Wörterbuch, with contributions by Andrea Sinclair, Simon D. Schweitzer, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae, Corpus issue 18, Web app version 2.1.2, 11/24/2023, ed. by Tonio Sebastian Richter & Daniel A. Werning on behalf of the Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften and Hans-Werner Fischer-Elfert & Peter Dils on behalf of the Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (accessed: xx.xx.20xx)
(Short citation)
https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/lemma/858550, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (accessed: xx.xx.20xx)