nḫrḫr(Lemma ID 87420)

Verified

Hieroglyphic spelling: 𓈖𓐍𓂋𓐍𓂋


Persistent ID: 87420
Persistent URL: https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/lemma/87420


Lemma list: Hieroglyphic/hieratic

Word class: verb (5-rad.)


Translation

de in Unruhe versetzen
en to be sightless (?)

Attestation in the TLA text corpus


Attestation time frame in the TLA text corpus: from 2345 BCE to 526 BCE


Bibliography

  • Wb 2, 313.1
  • Van der Molen, Dictionary of Coffin Texts, 242


External references

Legacy TLA 87420
Digitalisiertes Zettelarchiv 87420
Vocabulaire de l’Égyptien Ancien 7526

Comments

nḫrḫr: In pRamesseum VII, B, x+15-16 einmal mit schlagendem Mann klassifiziert und einmal ohne Klassifikator. Das Wb kennt nur ein klassifikatorloses nḫrḫr (Wb 2, 313.1) als seltene Handlung, die vom Gesicht einer Person (ḥr) gesagt wird. Laut dem Kontext des einzigen Beleges, den das Wb kennt (PT 369, Pyr. § 644d), verhindert Horus, dass dies mit dem Gesicht des verstorbenen Königs passiert. Wb vermutet „traurig sein o.ä.“. Diese Übersetzung passt zunächst auch in den wenigen anderen, seitdem neu hinzugekommenen Belegen (PT 67 [s. im TLA], und CT VII, 61c). In letzterem Fall ist nḫrḫr ebenfalls Negativkomplement und zeigt, wie in pRamesseum VII, eine w-Endung (notiert auch von Schenkel, in: LingAeg 7, 2000, 61). Speziell in PT 369 wird zuvor gesagt, dass Horus die Augen des Königs erschaffen hat. Daher nimmt Sethe, Pyr. Übers., III, 190-191, Anm. zu § 644d an, dass nḫrḫr eher „ohne Sehkraft sein“ heißt. (NB: seine Alternativübersetzung „blöde sein“ bezieht sich nicht auf die heutige eingeengte Bedeutung dieses Wortes, sondern wird die heute außer Gebrauch geratene Bedeutung „körperlich schwach“ o.ä. meinen, s. Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch, s.v. „blöde“, spez. Abschnitt 4-5.) Den Vorschlag „traurig sein“ des Wb lehnt Sethe dagegen explizit ab. Er überlegt ferner, ob das Wort mit nḫr, einem schlechten Zustand (Wb 2, 312.15), zusammenhängt sowie vielleicht auch mit dem unsicheren nḫr, mit dem er sich in Sethe, Dramatische Texte, 156 und 158-159 „abgequält habe“ (und sich letztlich dort für eine andere Lösung entscheidet). Nur der Vollständigkeit halber sei genannt, dass auch Hannig noch ein Verb nḫrḫr kennt (Nr. {16296}), dem er ebenfalls die Bedeutung „ohne Sehkraft sein“ gibt. Sein Beleg ist CT VII, 228j, wo der Satz beginnt mit: Schilfblatt und sitzendem Mann, nḫrḫr und sitzendem Gott. FECT III, 112 trennt diese Stelle dagegen anders auf und geht von dem defektiven Verbum dicendi jn/j.n aus, gefolgt von einer Götterbezeichnung Ḫrḫr: „‚(...)‘, says Ḫrḫr“. Ebenso Barguet, Textes des sarcophages, 416: „‚(...)‘, dit Ḫrḫr“. Dieser Interpretation folgt auch LGG V, 951a, wo dieser Sargtextbeleg als (einziger) Beleg für eine Gottheit Ḫrḫr: „Der Zerstörende (?)“ (< ḫrḫr: „zerstören“, Wb 3, 330.7) aufgenommen ist. Hannig, a.a.O. referiert zwar auf Fecht und Barguet, schlägt aber durch seine Transkription nḫrḫr eine andere Worttrennung vor: nicht j.n Ḫrḫr, sondern j Nḫrḫr: „O Nḫrḫr“ o.ä. Das heißt, sein verbaler Ansatz als Verb ist nur rekonstruiert, denn der sitzende Gott zeigt, dass auch bei Hannigs Worttrennung sein nḫrḫr eine (scil. von einem entsprechenden Verb abgeleitete) Gottesbezeichnung ist. Dies erklärt auch, warum sein Beleg ohne Klassifikator aufgenommen wurde. Die Übersetzung „ohne Sehkraft sein“ geht direkt auf Sethes Pyramidentexte zurück, wodurch klar wird, dass dieses Lemma {16296}, sofern man überhaupt an dessen Existenz glaubt, eigentlich identisch mit Wb 2, 313.1 wäre und kein davon zu trennendes Wort.
Doch warum sollten die Feinde in pRamesseum VII gerade nicht „traurig“ (Wb) oder „ohne Sehkraft“ (Sethe) sein? In diesem magischen Kontext erwartet man eigentlich das genaue Gegenteil: es wäre geradezu wünschenswert, seine Feinde „traurig“ oder „ohne Sehkraft“ zu sehen. Hannig, HWb (Marburger Edition), 451 führt, vielleicht deswegen, das hiesige Verb als eigene Nr. {50409} auf (vgl. Hannig, Wörterbuch II, 1324) und schlägt als Bedeutung „angreifen“ vor. Eine solche Bedeutung würde in pRamesseum VII tatsächlich sehr gut passen, ist aber eben nur geraten. Vernus, in: LingAeg 17, 2009, 293 und 301 übersetzt das Verb mit „se-prendre-de-culbutes, de basculements“, abgeleitet von der Wurzel ḫr: „fallen“; und in CT VII, 61c vermutet er a.a.O., 301, Anm. 52 die Bedeutung „se prendre d’inclinaisons“.
Derchain-Urtel, in: GM 6, 1973, 39-54 versucht eine Verbklasse mit dem Bildungsmuster nABAB zu etablieren, das eine Ableitung von einem Stamm AB ist und ähnlich einem medialen Genus Verbi eine Handlung ausdrückt, bei der deren Subjekt „die gleiche Handlung an sich selber, in seinem eigenen Interesse, in einer Bewegung auf sich selbst bezogen, ausführt“ (S. 43). Diese Handlung könne u.a. passive, reflexive, tolerative und reziproke Bedeutungen haben (S. 45). Ähnlich auch Vernus, in: LingAeg 17, 2009, 308: „L’action est manifestement présentée hors causation extérieure. Le participant unique est même temps l’espace où elle se déroule. Dans le case de nḫrḫr, le participant dans sa globalité est affecté. (...) L’action es présentée comme constituée de multiples phases homologues répétées, ou, au minimum, comme impliquant intrinsèquement un processus complexe.“ Auf dieser Basis wird hier vorgeschlagen, das Verb nḫrḫr von ḫr: „fallen, fällen“ (Wb 3, 319-321.5) abzuleiten, und als Behelfsübersetzung wird „sich in Unruhe versetzen“ vorgeschlagen. Das dürfte einer reflexiven und/oder reziproken Ableitung von „fallen, fällen“ nahekommen und ist als eine Handlung denkbar, die man sicher gern verhindert wissen will – sei es das eigene Gesicht betreffend wie auch die Feinde.

L. Popko, 08. Juni 2022.

Commentary author: Strukturen und Transformationen; Data file created: 06/08/2022, latest revision: 06/08/2022


Editor(s): Altägyptisches Wörterbuch; with contributions by: Simon D. Schweitzer
Data file created: before June 2015 (1992–2015), latest revision: 05/19/2021
Editorial state: Verified

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(Full citation)
"nḫrḫr" (Lemma ID 87420) <https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/lemma/87420>, edited by Altägyptisches Wörterbuch, with contributions by Simon D. Schweitzer, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae, Corpus issue 18, Web app version 2.1.3, 5/16/2023, ed. by Tonio Sebastian Richter & Daniel A. Werning on behalf of the Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften and Hans-Werner Fischer-Elfert & Peter Dils on behalf of the Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (accessed: xx.xx.20xx)
(Short citation)
https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/lemma/87420, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (accessed: xx.xx.20xx)